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Die Digitale Transformation in der Aerospace-Industrie hat bereits begonnen: Die französische Wirtschaftszeitschrift L´Usine Nouvelle berichtet in einem ausführlichen Artikel über die Digitalisierung der Aerospace Supply Chain: Die Airbus Group, Dassault Aviation, Thales und Safran weiten die 2011 von ihnen geschaffene Plattform AirSupply auf die gesamte Lieferkette der Branche aus.Alles Wissenswerte über die Hintergründe, die Erfahrungen und den Nutzen des gemeinsamen Engagements erfahren Sie hier in der deutschen Übersetzung des Artikels.Im Werk von Potez im französischen Aire-sur-l’Adour (Département Landes) nahe Pau dreht sich alles um Flugzeugteile. Mehrere Wochen – vom Zuschnitt bis zur Lackierung – verbringen die Teile hier, bevor sie zum Kunden weitergehen. Am anderen Ende der Produktionskette steht vor allem das Unternehmen Airbus, das in Toulouse 14.000 Mitarbeiter beschäftigt. Und zwischengeschaltet sind zahlreiche Akteure, von klein- und mittelständischen Unternehmen bis hin zu Tier-1-Zulieferern wie Daher und Aircelle, mit langen Produktionszyklen.Dieses „erweiterte Unternehmen“ findet in der digitalen Welt eine gemeinsame Kommunikationsform – wie es Marwan Lahoud, Präsident des Verbands der französischen Luft- und Raumfahrtindustrie GIFAS definiert. So lautete das Bestreben der GIFAS, als sie 2009 BoostAeroSpace ins Leben rief, eine digitale Plattform, die den Austausch zwischen den Branchenakteuren standardisiert.Sie bringt drei Dienste zusammen: Das von Dassault Systèmes betriebene AirDesign für den gemeinsamen Zugriff auf 3D-Zeichnungen, Modelle und Produktkonfigurationen, das von Thales betriebene AirCollab für den gemeinsamen Zugriff auf Dokumente und die Organisation von Besprechungen, sowie das von dem deutschen Anbieter SupplyOn verwaltete AirSupply für die Bestell- und Lieferverfolgung.Das Ganze steht in der Cloud zur Verfügung. „BoostAeroSpace vereinfacht den Austausch zwischen Lieferanten und Zulieferern und ihren Kunden, indem es ihnen ein gemeinsames Portal bereitstellt“, erklärt Laurent Martin-Rohmer, der bei SupplyOn für AirSupply verantwortlich zeichnet.Sich in fünf oder sechs verschiedene Systeme einzuarbeiten, bedeutete für die Zulieferer nicht nur einen hohen Kosten-, sondern auch Zeitaufwand. Latécoère schätzt, dass alleine dafür 10 % an Zusatzkosten entstehen. Die Verständigung auf Standard-Arbeitsweisen dagegen ermöglicht es den Akteuren der Luftfahrtbranchen, sich auf jene Prozesse zu konzentrieren, die einen hohen Mehrwert generieren. Unverzichtbar, um sich im Wettbewerb durchzusetzen und angesichts des Hochlaufs der Programme zu bestehen.Während sich AirDesign noch in den Anfängen befindet, sind AirCollab und AirSupply schon weiter: Rund 1.000 Unternehmen arbeiten mit AirCollab, mehr als 2.000 Kunden-Lieferanten-Beziehungen sind in AirSupply registriert. Von den drei Diensten ist AirSupply derjenige, der die umfangreichsten Interaktionen zwischen Kunden und Lieferanten unterstützt. Wie Laurent Martin-Rohmer schätzt, bringt seine Nutzung einen durchschnittlichen Zeitgewinn von 10 % im Verwaltungsbereich. So können sich Kunden und Lieferanten schon im Vorfeld über Bestellungen abstimmen.„Die Vorteile von AirSupply sind für jeden Kunden andere: schnellere Reaktionen in der Abstimmung über Mengen und Lieferfristen, weniger Unterbrechungen im Nachschub, Verkleinerung der Lager und Salden, ein besserer Überblick…“, erklärt er. Für manche geht es darum, ihren guten Willen gegenüber Auftraggebern zu zeigen, die sich zunehmend ausländischen Lieferanten zuwenden. Aber AirSupply sei kein „Marktplatz“, betont Laurent Martin-Rohmer. „Ziel ist es nicht, hier nach Aufträgen zu suchen. Die Plattform bildet lediglich die bereits bestehenden Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten ab.“ Es können sich natürlich auch Lieferanten außerhalb Europas registrieren, von denen künftig voraussichtlich noch weit mehr hinzukommen werden.Hand in Hand bei Bestellungen .... und VerzögerungenNeben den eher klassischen Funktionen wie Bestellbestätigung und Erstellung von Versandanzeigen und Lieferscheinen bietet AirSupply auch neuere und innovative Funktionen, wie die OTD- (On Time Delivery) Kollaboration. Hinter OTD verbirgt sich eine von den Auftraggebern errechnete Kennzahl, anhand derer sie die Lieferpünktlichkeit ihrer Lieferanten bewerten. Praktisch jeder Zulieferer hat mindestens schon einmal eine schlechte OTD-Bewertung erhalten, die auf verschiedenste Ursachen zurückgehen kann: Änderungen an den Konstruktionsplänen in letzter Minute, Ausfall einer Maschine…Das Problem ist, dass sich die vom Auftraggeber vergebene Note in der Regel nicht mit der Sichtweise des Benoteten deckt. AirSupply gibt dem Lieferanten die Möglichkeit, zur OTD-Bewertung seines Kunden Stellung zu nehmen. „Wenn der Lieferant nicht einverstanden ist, kann er einen Kollaborationszyklus einleiten, um sich gemeinsam mit dem Kunden über die Ursachen der Abweichung vom erwarteten Lieferdatum zu verständigen“, erklärt Marie-Noëlle Lepers, die bei BoostAeroSpace für AirSupply zuständig ist.Diese Funktion wurde erstmals von Airbus Helicopters und seinen wichtigsten Zulieferern genutzt. „Früher gaben schlechte OTD-Bewertungen Anlass zu endlosen Diskussionen, die sich bis zu vier Monate nach Auftragsabschluss hinziehen konnten“, erinnert sich Paul Brines, der bei Airbus Helicopters die Implementierung von AirSupply leitet. „Der Kollaborationsservice auf der Plattform spart uns Zeit und gibt unseren Lieferanten die Chance, sich bei Problemen einfacher zu äußern.“ Seinen Angaben zufolge trug diese Funktion zu einer lieferantenseitigen Leistungssteigerung von 5 % bei.Die Verwaltung von Anträgen zu Qualitätsabweichungen in AirSupply befindet sich derzeit noch in Entwicklung. Wenn ein beim Lieferanten produziertes Bauteil einen kleineren Fehler, wie beispielsweise einen Kratzer aufweist, kann er bei seinem Kunden eine Abweichung von den Qualitätsstandards beantragen. Das Vorgehen ist allerdings zeitaufwendig, da der Antrag sowohl beim Kunden als auch beim Lieferanten durch mehrere Abteilungen läuft. Wenn es dagegen auf der Plattform automatisiert ist, können beide Parteien auf die Fotos des Bauteils und sonstige Unterlagen zugreifen, die die Basis für die Entscheidung über den Abweichungsantrag sind. Bislang ist der Hersteller Aircelle das einzige Unternehmen, das diesen Service nutzt.Insgesamt vereint AirSupply ein rundes Dutzend an Funktionen. „Die Priorität von BoostAeroSpace besteht darin, den gemeinsamen Entwicklungsbedarf zu erheben und mit seinen Kunden abzustimmen. SupplyOn seinerseits setzt die Anforderungen dann in die Praxis um“, fügt Marie-Noëlle Lepers hinzu.Digitale Transformation: BoostAeroSpace bei KMUUm zunehmend mehr Akteure auf die Plattform zu holen, ist BoostAeroSpace derzeit dabei, Preismodelle auszuarbeiten, die sich für sämtliche Unternehmen der Branche eignen. „Mehrere Kriterien fließen mit ein, wie die Größe des Unternehmens, aber auch die jeweiligen Geschäfts- und IT-Prozesse, die einen unterschiedlichen Grad an Support erfordern. Nicht selten haben kleine Unternehmen in die notwendige IT investiert, was es ihnen jetzt erlaubt, aus ihrer Reife Gewinn zu ziehen und sich die Vorteile, die mit der Einführung von AirSupply einhergehen, schnell zugänglich zu machen.“Neben dem Preis (der sich nach der Zahl der Lieferanten, mit denen ein Unternehmen zusammenarbeitet, sowie den in Anspruch genommenen Funktionen richtet), muss auch die Plattform selbst für Unternehmen aller Größen geeignet sein. Potez nutzt den AirSupply-Dienst seit 2014 als Lieferant und seit 2015 auch als Kunde, und ist – mit 36 Millionen Euro Umsatz, 350 Mitarbeitern und rund hundert Zulieferern – der kleinste Kunde der Plattform. „Die Branche wird nur dann von diesem Portal profitieren, wenn es sich lückenlos über die gesamte Lieferkette erstreckt“, meint Geschäftsführer Roland Potez. Der Familienkonzern bemüht sich deshalb, sie auch bei seinen Lieferanten durchzusetzen.Während manche sich ohne Umschweife bereit erklären, zeigen andere sich eher zögerlich. „Bei einigen unserer Lieferanten handelt es sich um kleine und mittelständische Unternehmen, denen wir nur wenige Aufträge im Jahr erteilen, allem voran im Bereich der Wartung alter Flugzeugmodelle. Sie sehen keinen wirklichen Nutzen darin, in AirSupply zu investieren. Insbesondere dann, wenn sie nicht vorrangig mit der Flugzeugbranche zusammenarbeiten“, erklärt Mehdi Berraih, Einkaufsleiter bei Potez.Für solche Fälle hat SupplyOn das System „E-Mail Access“ entwickelt, das einen eingeschränkten kostenlosen Zugriff auf AirSupply gestattet. Andererseits leidet Potez aber auch unter dem Produktionseinbruch der Falcon 5X bei Dassault, seinem größten Kunden. „Das macht es uns zusätzlich schwer, AirSupply bei den Zulieferern durchzusetzen, die wir nur für dieses Programm beschäftigen“, räumt Mehdi Berraih ein.BoostAeroSpace bietet den Akteuren der Luftfahrtbranche noch einen weiteren großen Vorteil: Die Gelegenheit nämlich, gemeinsam über Lösungen nachzudenken, um die Zuverlässigkeit ihrer Lieferkette zu steigern. Seit 2012 kommen sie einmal im Jahr zusammen, um sich über Best Practices auszutauschen. Airbus, Thales, Safran und ihre Lieferanten – hier führen sie Gespräche auf Augenhöhe, die die Großen der Industrie mit der Welt der Lieferanten konfrontiert.„Natürlich hat man auch früher miteinander gesprochen, aber jetzt ist eine feste Einrichtung daraus geworden“, bestätigt Laurent Martin-Rohmer. Das System scheint zu funktionieren. Und es findet sogar Nachahmer: Fer de France, der Verband der französischen Eisenbahnbranche, zeigt Interesse für das Thema, um die Zusammenarbeit in der Lieferkette der Bahnbranche zu verbessern. Die digitale Transformation funktioniert.Wie Boeing, nur besser …Zehn Jahre vor BoostAeroSpace ging bereits Boeing mit einer digitalen Plattform an den Start: Exostar, die der amerikanischen Lieferkette einen enormen Vorsprung verschaffte. „Der Verband der französischen Luft- und Raumfahrtindustrie GIFAS wollte es den Amerikanern gleichtun, um die Position der europäischen Branche im Wettbewerb zu stärken“, erzählt Laurent Martin-Rohmer von SupplyOn.Allerdings wollte man von Anfang an erreichen, dass die Lösung über den Kreis seiner Gründer hinaus Einsatz findet. Deshalb strebte man bei BoostAeroSpace eine kaskadierende Einführung an: Tier-1-Lieferanten wie Liebherr, Daher, Zodiac und MBDA haben sich ebenfalls der Plattform angeschlossen.Joint Venture am SteuerDas 2011 in Neuilly-sur-Seine (Département Hauts-de-Seine) gegründete Joint-Venture BoostAeroSpace erfasst den von den Nutzern geäußerten Verbesserungsbedarf und leitet ihn an die Betreiber der einzelnen Dienste (AirSupply, AirCollab, AirDesign) weiter. Einmal im Jahr finden Treffen statt, um die neuen Funktionen der Plattform festzulegen.Das Joint-Venture, an dem Airbus Group, Airbus, Dassault Aviation, Thales und Safran jeweils 20 % halten, beschäftigt fünf Mitarbeiter und erwirtschaftete 2015 3,5 Millionen Euro Umsatz. Der Vorsitz wechselt jedes Jahr unter den fünf Aktionären und wird aktuell von Matthias Naumann von der Airbus Group besetzt. Die Gründer von BoostAeroSpace haben 11 Millionen Euro in die Entwicklung der Plattform gesteckt und schießen seither jedes Jahr 2 bis 3 Millionen Euro nach.Dieser Artikel "Digitale Transformation in der Aerospace-Industrie" ist eine Übersetzung der Original-Version.