Christmas AGILE – In Zeiten der Globalisierung (Teil 3)
Wie der Weihnachtsmann versucht, die gesamte Weihnachtsorganisation an agilen Prinzipien auszurichten, konnten Sie letzte Woche in Teil 1 und Teil 2 lesen. Nun folgt der dritte Streich der etwas anderen Weihnachtsgeschichte:
Montag, der 3. November – noch 51 Tage bis Weihnachten
15:00
Der Freitag war schrecklich! Als die Oberhexe endlich vom Weihnachtsmann zurückkam, war sie so wütend, dass immer noch kleine Gewitterwolken aus ihren Ohren herausquellten.
Bis zum späten Nachmittag war sie nicht ansprechbar. Aber wir wussten nicht, was wir machen sollten – sollte ich mich wirklich um die asiatischen Wünsche kümmern? Die anderen Elfen machten einfach an ihren Wünschen weiter. Die Konstrukteure beschäftigten sich mit dem nächsten Wunsch und die Tester hatten lauter Regenbogen über ihren Schreibtischen. Ich sah unschlüssig auf die Ordner vom Weihnachtsmann. Sollte ich sie mir wirklich anschauen? Wie würde dann die Oberhexe reagieren? Ich wollte wirklich keine Gewitterwolke über meinem Kopf riskieren. Also ließ ich sie erst einmal liegen – aber auf die Wünsche für den folgenden Sprint konnte ich mich auch nicht konzentrieren. So ging der Tag zu Ende, ohne dass eine Entscheidung getroffen wurde.
Heute früh erinnerte ich mich an die Worte des Weihnachtsmanns, als er uns die Prinzipien des agilen Vorgehens erläuterte – es war ja noch so lange her. „Dieses Jahr werden wir keine Pläne von oben vorgeben. Dieses Jahr ist jedes Team für die Erfüllung der Wünsche selbst verantwortlich!“ Ja sicher – das haben wir am Freitag gesehen.
Ohne jeglichen Elan ging ich ins Büro. Die Oberhexe begrüßte mich schon an der Tür. „Wir müssen tatsächlich die asiatischen Wünsche implementieren. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Der Weihnachtsmann kann manchmal sehr überzeugend sein. Also die Konstrukteure und Tester werden die angefangenen Gift-Stories fertigstellen. Danach brechen wir den Sprint ab und starten mit der Implementierung der asiatischen Wünsche. Daher wirst Du die Wünsche katalogisieren, strukturieren na und so weiter. Du weißt schon, was Du machen sollst.“
Also sitze ich an meinem Schreibtisch und katalogisiere, strukturiere und archiviere. Die Wünsche scheinen auf den ersten Blick sich nicht wahnsinnig von denen die wir schon hatten zu unterscheiden. Aber bei genaueren Hinsehen erkennt man dann doch Unterschiede. Und ich weiß einfach zu wenig von der indischen, chinesischen und japanischen Kultur um wirklich zu wissen, was zu tun ist. Ich versuche mein Wissen durch Recherchen aufzufrischen, aber um dies gründlich zu machen, fehlt mir einfach die Zeit.
„Ich wünsche mir die erste Quelle des Glücks zu erreichen. Daher wünsche ich mir einen Schachpartner, da ich beim Schachspielen Glück empfinde.“
Also formulierte ich die Gift-Story:
„Ich als Buddhist aus Nordindien wünsche mir einen Schachpartner um Glück beim Schachspielen zu empfinden, so dass ich die erste Quelle des Glücks erreichen kann.“
Ich bin mir nicht sicher. Muss es nicht heißen:
„Ich als Buddhist aus Nordindien wünsche mir die erste Quelle des Glücks zu erreichen, so dass ich fähig bin beim Schachspielen mit einem Partner Glück zu empfinden.“
Alles fühlt sich nicht richtig an. Ich brauche für jede Gift-Story wesentlich länger als zuvor. Alle fünf Ordner bis morgen durchzuarbeiten, wird mir sicher nicht gelingen. Morgen werden aber die Konstrukteure und Tester mit den beiden angefangenen Stories fertig sein und wir werden den Sprint abbrechen. Dann muss ich die neuen Stories vorstellen.
Glücklicherweise sind die Ordner vom Weihnachtsmann regional sortiert. Also nehme ich mir einen Wunsch aus jedem Ordner und bearbeite sie dann. Dann kommen die nächsten fünf Wünsche.
Dienstag, der 4. November – noch 50 Tage bis Weihnachten
10:05
Wieder einmal ein Requirements-Workshop. Ich stelle die asiatischen Wünsche vor. Erstaunlicherweise gibt es wenig Diskussion. Alles wird so akzeptiert, wie ich es vorstelle und lustlos der Planning Poker durchgeführt. Alle werden sich sehr schnell einig. Komischerweise stimmt mich das nicht wirklich hoffnungsvoller – eher im Gegenteil.
12:45
Nach dem Mittagessen in unserer Christmas Lunch Area unterhalte ich mich mit Maromar. Er erklärt mir, dass er Angst vor dem kommenden Sprint hat. Als Verpackungself muss der dafür sorgen, dass die Wünsche zur richtigen Zeit am richtigen Ort ankommen und die dahinter stehende Magie nicht unmittelbar durch die Menschen bemerkt wird. Er hatte in der Nacht viel über buddhistische und hinduistische Kulturen gelesen. Er ist sich nicht sicher, ob er wirklich in der Lage sein würde, die Geschenke so zu verpacken, dass sie auf dem richtigen Weg bei den Beschenkten ankommen würden. Ich versuche ihn aufzumuntern – aber ich war mir da auch wirklich nicht sicher.
15:23
Die Jungs haben den Task-Breakdown abgeschlossen. Alle Gift-Stories sind abgeschätzt. Alles scheint normal zu sein. Aber ich habe immer noch so ein Grummeln im Bauch.
Donnerstag, den 6. November – noch 48 Tage bis Weihnachten
19:03
Die Jungs geben ihr Bestes, aber sie brauchen viel länger für die Wünsche, als ursprünglich gedacht. Insbesondere die Tester finden immer wieder Bedingungen, in denen die Wunscherfüllungen nicht funktionieren. Es gibt viel Streit, weil die Konstrukteure der Meinung sind, dass es solche Bedingungen gar nicht gibt und deswegen die Tests nicht gültig sind. Die Tester holen dann irgendwelche heiligen Texte heraus, die beweisen sollen, dass es die Bedingungen doch gibt. Am liebsten würde ich morgen zu Hause bleiben – zumal die Piloten der öffentlichen fliegenden Teppiche einen Streik angekündigt haben. Die Oberhexe war in den letzten beiden Tagen unterwegs. Sie wurde durch die Zahnfee als Christmas-Master vertreten. Aber die interessierte sich nicht wirklich für unsere Probleme.
Montag, den 10. November – noch 44 Tage bis Weihnachten
8:35
Standup! Alle sehen auf den Boden. Die Oberhexe ist zurück und versucht es mit dem Regenbogen über Tiramo. Er druckst herum, sagt aber was er am Freitag getan hat und was er heute vorhat. „Hmm, ich werde mir die nächste Gift-Story ansehen. Es ist die Om-Story…“ Die Oberhexe sieht ihn an, aber mehr will er nicht sagen.
So geht es die ganze Zeit. Ich war die letzte in Reihe. Ich habe auch keine Lust irgendwas zu sagen. Aber bevor der Regenbogen über mir erscheint, übernimmt die Oberhexe selbst das Reden. Sie zeigt auf unser Burndown-Chart, dass sie wie jeden Tag groß in unserem Büro aufgehängt hatte.
Im letzten Sprint hatten wir gelernt, dass man am Anfang eines Sprints immer über der Voraussage liegt. Aber am Ende eines Sprints wird man besser und kann die Zeit wieder aufholen.
Diesmal macht uns aber die Oberhexe klar, dass wir die verlorene Zeit nicht wieder aufholen können. „Hmm, wir hatten nie eine Chance.“, sicherlich bekomme ich jetzt eine Gewitterwolke über den Kopf. Aber das ist mir jetzt auch schon egal. „Wir wissen einfach nicht genug über diese Kulturen, um sinnvolle Geschenke zu kreieren. Wir brauchen einfach viel zu lange, um eine machbare Lösung zu finden.“ Alle schauen mich erschrocken an. Ich ziehe den Kopf ein und lege meine Hände über die Ohren. Blitze in den Ohren sind wirklich unangenehm. Aber als ich die Augen wieder aufmache, habe ich weder eine Gewitterwolke über dem Kopf, noch sieht die Oberhexe wütend aus – was wirklich erstaunlich ist. Normalerweise sieht sie immer wütend aus.
„Ich verstehe Euch. Ich habe schon letzte Woche versucht, dem Weihnachtsmann klar zu machen, dass selbst solch berühmte Fabelwesen wie wir, trotz allem regional gebunden sind. Den Weihnachtsmann gab es zuerst im protestantischen Nordeuropa. Durch die Auswanderer hat er sich auch in Nordamerika verbreitet. Aber in Asien war er nie wirklich heimisch. Und selbst durch die Globalisierung und Hollywood-Filmen wird er – und auch ich – nie wirklich dort heimisch werden.“
„Ja, und was machen wir jetzt?“ Trotz dieser Frage sieht Purzelbaum nicht mehr ganz so hoffnungslos aus. Die Oberhexe versucht uns Hoffnung zu machen, aber letztlich stellt sich doch heraus, dass sie auch keine Idee hat. „Es sind nur noch 44 Tage bis Weihnachten und wenn wir so weiter machen, können wir noch nicht einmal die Wünsche aus unseren angestammten Gebieten erfüllen, geschweige denn die Wünsche aus Asien.“ Die anderen sehen mich wieder erschrocken an. Jetzt kommt der Wutausbruch der Oberhexe doch. Erstaunlicherweise kommt er immer noch nicht. „Ja, das stimmt. Wir müssen etwas unternehmen.“ Ich hätte nie gedacht, dass mir die Oberhexe zustimmen würde. Aber da war es.
„Also wir machen folgendes. Wir werden diesen Sprint zu Ende führen, auch wenn wir nicht alle geplanten Wünsche erfüllen können. Anschließend widmen wir uns wieder den Wünschen aus unseren Regionen.“ Wieder lass ich mich hinreißen und widerspreche der Oberhexe. „Wir würden dadurch eine weitere Woche verlieren und schaffen wahrscheinlich auch die Wünsche aus unseren angestammten Gebieten nicht.“
Heute ist ein komischer Tag. Auch Tiramo widerspricht der Oberhexe. „Jara hat Recht. Wir müssen uns auf unsere wirklichen Aufgaben konzentrieren. Ich denke, wir sollten den Sprint abbrechen und die auf die ursprüngliche Planung aufsetzen. Wir erwarten, dass insbesondere Ende November noch viele Wünsche hereinkommen werden.“ „Konzentrieren auf Wünsche aus unseren traditionellen Regionen heißt nicht, dass wir die Asiaten total vergessen. Wir können sie ja optional in die Planung aufnehmen.“ Plix versucht einen Kompromiss zu finden, aber letztlich widerspricht auch er 🙂 .
Die Oberhexe schaut in die Rund. Alle nicken und stimmen Plix zu. „Also gut. Wir brechen den Sprint ab. Jara,“ sie blickt mich an, „du wirst die Planung nochmals überarbeiten. Arbeite gleich die neu hereinkommenden Wünsche ein. Plane für jeden Sprint einen optionalen Wunsch aus den asiatischen Wünschen ein. Wir starten den neuen Sprint morgen. Tiramo, Plix und Purzelbaum, Ihr werdet nochmal überprüfen, was wir aus dem jetzt abgebrochenen Sprint noch retten können. Morgen früh haben wir dann den Requirements-Workshop und den Task-Breakdown für den kommenden Sprint. An die Arbeit, wir haben alle viel zu tun.“
Na ja, wir sind zufrieden. Wir hätten das nie geschafft. Aber die Oberhexe hat sich als Teamlead verhalten. Sollte sie nicht nur ein Coach sein? Die Entscheidungen sollte doch das Team treffen. In dieser Situation ist es aber richtig. Ich denke nicht, dass wir den Mut aufgebracht hätten, den Sprint abzubrechen und neu anzufangen. Letztlich braucht man immer jemanden, der einen unterstützt, wenn man wirklich schwere Entscheidungen zu treffen hat – auch wenn es nur die Oberhexe ist.
15:05
Ich sitze an der neuen Planung und schöpfe neue Hoffnung. Ich versuche die Sprints zu planen. Wir haben zwar eine Woche verloren, aber es ist immer noch machbar.
Ich habe versucht, die übrig gebliebene Zeit in Sprints zu planen. Wir hatten nur noch Zeit für drei Sprints, aber wir konnten es schaffen. Die bereits vorliegenden Wünsche füllten die Sprints nicht vollständig aus. So können wir die hereinkommenden Wünsche aus der nächsten Zeit auch noch erfüllen.
Die Sprints sind nicht vollständig ausgeplant. So kann ich die hereinkommenden Wünsche noch in den zweiten und dritten Sprint einplanen. Was mir aber noch nicht klar ist: Was machen wir mit den Wünschen, die nach dem 9. Dezember hereinkommen werden? Wir können sie nicht einfach alle als Leftovers behandeln. Aber wenn der Sprint angefangen hat, ist er geschützt und die Planung kann nicht mehr geändert werden. Ich kann dann nicht einfach Wünsche in den laufenden Sprint werfen.
Bei der ursprünglichen Planung hatten wir noch eine Woche bis Weihnachten und ich dachte zu diesem Zeitpunkt, wir werden das schon irgendwie schaffen. Aber in dieser Planung hatten wir nur noch 2 Tage – und in zwei Tagen schafft man bekanntlich nicht allzu viel. Konnte man den Sprint kürzen und dann wieder Wünsche nach dem traditionellen Wasserfall-Modell bearbeiten?
17:03
Ich bin am nach Hause gehen, wenn die Oberhexe nochmal in unserem Büro erscheint. Sie winkt mich zu sich und flüstert mir ins Ohr. Scheinbar sollen die anderen nicht mitbekommen, dass sie mich auffordert sie zum Weihnachtsmann zu begleiten. Mir rutscht das Herz in die Hose. Aber was soll ich schon machen. Ich kann mich ja schlecht weigern.
17:05
Wir stehen gemeinsam vor dem Büro des Weihnachtsmanns. Die Oberhexe schiebt mich herein und erklärt dem Weihnachtsmann, dass das Team eine Änderung des Planes beschlossen hatte. Aha – jetzt war es also das Team. Wirklich interessant. In der Zwischenzeit ist mir alles egal und ich erläutere dem Weihnachtsmann, warum wir den aktuellen Sprint so nicht fortsetzen können. Ich erkläre ihm auch, dass wir bei weitem nicht die asiatischen Wünsche erfüllen können. Auch die unvermeidliche Konsequenz, dass wir den Beweis der Existenz des Weihnachtsmannes für den Asiatischen Markt nicht erbringen können, lasse ich nicht aus.
Zum Glück hat der Weihnachtsmann keine Gewitterwolken zur Verfügung, aber was nun kommt hatte ich auch nicht erwartet.
Der Weihnachtsmann bricht vollständig zusammen und heult wie ein kleines Mädchen, dass man seine Weihnachtsgeschenke weggenommen hat. So schlimm habe ich mir es nicht vorgestellt. Er hängt wirklich an der Vorstellung, dass alle Menschen an ihn glauben sollen. Er ist davon überzeugt, dass auf diesem Weg, die Welt besser wird. Na ja vielleicht schaffen wir es ja manchmal, dass die Welt wirklich besser wird, aber wir können auch nicht einfach unsere Vorstellung einer besseren Welt so einfach auf die Menschen auf der Erde übertragen. Sie müssen schon selbst einen Weg finden – wir können nur bei wenigen ein bisschen dabei helfen. Wir sind schließlich nur Fabelwesen.
Ich versuche ihm das zu erklären und dass er für die Kinder wirklich wichtig ist – auch wenn die üblichen Geschenke nicht von uns, sondern von Eltern und Verwandten kommen. Sie kommen auf jeden Fall in seinem Sinne und es ist nicht wirklich notwendig, dass er alle Geschenke bringt. Er muss auch nicht die Geschenke zu Kindern bringen, die gar nicht Weihnachten feiern – oder so.
Er ist wirklich verzweifelt und ich kann gar nicht dagegen machen. Allerdings nickt er zu unserem Vorschlag und die Oberhexe will das Büro erleichtert verlassen. Ich bleibe aber noch ein bisschen beim Weihnachtsmann und erzähle ihm Weihnachtsgeschichten – zum Beispiel die von dem Teddybär, der auszog um geliebt zu werden…
22:20
Ich liege wach im Bett und denke immer noch über die Ereignisse des heutigen Tages nach. Was ist wichtig an Weihnachten und was können wir Elfen dafür tun. Bei allen unseren Planungen agil und Wasserfall, Eroberung des asiatischen Marktes haben wir vielleicht vergessen, was wir wirklich wollen. Warum wir hier sind und was wir für die Menschen bedeuten.
Wir sind effizient und erfüllen Wünsche mit unserer Magie. Aber was ist Weihnachten und wie können wir die Liebe zu den Menschen bringen. Egal wie – ich werde versuchen alle Wünsche erfüllen zu helfen – wie jedes Jahr. Und wie jedes Jahr wird es auch dieses Jahr nicht einfach werden.
So genug der philosophischen Ergüsse – jetzt wird geschlafen.
Wie es mit “Christmas AGILE” weitergeht, erfahren Sie hier.