Christmas AGILE – Ist Weihnachten noch zu retten? (Teil 4)
Wie der Weihnachtsmann seine gesamte Weihnachtsorganisation an agilen Prinzipien ausrichtet, konnten Sie in den letzten Woche in Teil 1, Teil 2 und Teil 3 verfolgen. Nun folgt der letzte Streich der etwas anderen Weihnachtsgeschichte:
Dienstag, der 11. November – noch 43 Tage bis Weihnachten
12:50
Ich sitze in unserer Weihnachts-Kantine und denke nach. Der Vormittag verlief wie erwartet. Wir hatten unseren Requirements-Workshop. Ich habe die Wünsche vorgestellt und sie wurden abgeschätzt. Der Task-Breakdown war noch vor dem Mittagessen fertig. Alles verlief schnell und reibungslos.
Ich kann mich jetzt komplett den neuen Wünschen widmen. Jeden Tag kommen mehr herein. Die meisten sind mehr oder weniger Standard und wir können sie gut erledigen. Auch die anderen Teams sind gut im Plan, wie uns heute früh im Stand-up die Oberhexe erklärte.
Wir werden es gut schaffen, davon bin ich überzeugt.
Freitag, der 14. November- noch 40 Tage bis Weihnachten
20:04
Heute war es wirklich lustig. Wir hatten einen Wunsch zu bearbeiten, der irgendwie mit Seifenblasen zu tun hatte. Ich erinnere mich nicht noch nicht einmal wie. Die Tester ließen jede Menge Seifenblasen unterschiedlicher Größe durch den Raum schweben. Es sah sehr schön aus. Maromar unser Verpackungself versuchte die Seifenblasen zu fangen und in große Kisten zu verpacken – was ihm natürlich nicht gelang. Plix versucht ihm zu helfen und ließ eine besonders große Seifenblase in einem Karton schweben. Alle kugelten sich vor Lachen – es war jedem klar, dass man Seifenblasen so nicht verpacken konnte. Selbst die Oberhexe lachte mit.
Aber nach einer Weile hatte sie genug von dem Spaß und zerstörte die Seifenblasen mit winzig kleinen Wirbelstürmen. Auch das fanden wir alle sehr lustig – nur die Oberhexe nicht 🙂 .
Montag, der 17. November – noch 37 Tage bis Weihnachten
16:35
Alles läuft wie am Schnürchen. Die Konstrukteure implementieren die Wünsche und die Tester sind zufrieden, weil sie kaum was auszusetzen haben. Ich bereite die Wünsche für den nächsten Sprint vor. Die hereinkommenden Wünsche bekomme ich gut unter.
Mittwoch, der 18. November – noch 35 Tage bis Weihnachten
19:03
Heute kam ein besonders schöner Wunsch herein. Er ist nicht sehr dringend und klingt auch nicht wirklich kompliziert. Trotzdem würde ich ihn gern an die erste Stelle unseres nächsten Sprints setzen.
„Lieber Weihnachtsmann, ich bin ein wirklich glückliches Kind. Meine Eltern haben mich lieb und ich gehe gern jeden Tag in den Kindergarten. Diesen Wunsch schreibt meine Oma für mich auf, weil ich erst im nächsten Jahr in die Schule komme und noch nicht schreiben kann. Ich wünsche mir von Dir eine Weihnachtsgeschichte, die mir mein Vater beim Einschlafen vorlesen kann.“
Normalerweise würden wir solche Wünsche aussortieren und an die Eltern und Großeltern zurücksenden, damit sie sich um die Wünsche kümmern können. Es gibt viele gute Geschichten zum Vorlesen – ob in Büchern oder im Internet oder auch einfach an jeder Straßenecke, wenn man nur hinsieht.
Aber irgendwie gefiel mir der Wunsch und ich nahm ihn in unseren Backlog auf. Es kann ja nicht so schwierig sein für Fabelwesen, sich eine Geschichte über Fabelwesen auszudenken.
23:04
Auch wenn es gut läuft, mache ich mir doch Sorgen über unsere Tage kurz vor Weihnachten. Wenn ich die neuen Wünsche mit betrachte, plane ich auch den zweiten und wahrscheinlich den dritten Sprint vollständig aus. Alle Wünsche, die nach dem 9. Dezember hereinkommen, können dann keine Beachtung finden. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass insbesondere in der zweiten und dritten Dezember-Woche besonders kritische Wünsche hereinkommen – kritisch weil sie den Menschen sehr wichtig sind und weil sie meist auch aufgrund der Kürze der Zeit schwierig umzusetzen sind.
Im Augenblick habe ich noch keine Idee, wie ich das lösen kann und die Oberhexe ist auch keine besondere Hilfe. Sie klopft mir nur auf die Schulter und speist mich mit Allgemeinplätzen ab. „Chaka“ oder so ähnlich.
Freitag, der 21. November – noch 33 Tage bis Weihnachten
13:30
Ich habe am Vormittag im Internet recherchiert. Ich fand einen interessanten Ansatz, wie wir das Problem des letzten Sprints vielleicht besser lösen können, als einfach am 9.12. die Wunschannahme zu schließen. Ich muss noch weiter darüber nachdenken. Ich werde es am Montag der Oberhexe vorstellen.
Montag, der 24. November – noch 30 Tage bis Weihnachten
11:00
Die Oberhexe und ich treffen uns in einem unserer Meeting-Räume. Ich versuche nicht nervös zu sein. Ich habe sogar eine Präsentation vorbereitet.
Der letzte Sprint startet am 9. Dezember und endet am 22. Dezember. Da wir nicht genügend Zeit in diesen zwei Tagen bis Weihnachten haben, Wünsche zu implementieren, können wir noch Wünsche, die gerade noch so fertiggestellt wurden, zu testen. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass insbesondere Wünsche, die uns nach dem 1. Dezember erreichen besondere Wichtigkeit haben können. Daher müssen wir eine Möglichkeit schaffen, diesen Wünschen zu entsprechen. Mit dem derzeitigen Ansatz können wir nur Wünsche berücksichtigen, die bis zum 8. Dezember einschließlich bei uns eingegangen sind.
Ich glaube, ich klinge sehr professionell. Ich bin stolz auf mich und meiner kleinen Präsentation. Die Oberhexe sah aber nicht sehr glücklich aus. Ich meine, eigentlich sieht sie immer wütend aus, aber diesmal sieht sie wirklich wütend aus. Allerdings kommen noch keine Gewitterwolken aus ihren Ohren.
OK, das Problem ist dargestellt. Kommen wir nun zur Lösung. Vielleicht kann ich die Oberhexe ein wenig besser stimmen. So sollte sie jedenfalls nicht in unser Büro zurückgehen. Wir müssen die Tage vor Weihnachten nutzen, um die spät eingehenden Wünsche zu implementieren. Dies können wir aber nicht in zwei Tagen. Daher brauchen wir mehr Zeit direkt vor Weihnachten. „Seufz“, ja, die Oberhexe seufzt tatsächlich, „Du weißt doch selber sehr gut, dass Zeitverlängerungszauber im Allgemeinen und ganz besonders zur Weihnachtszeit verboten sind.“ Sie schüttelt verzweifelt den Kopf. Ich sehe sie erstaunt an, an Zeitverlängerungszauber hatte ich gar nicht gedacht. Aber diese Möglichkeit fiel ja ohnehin aus. Ich sage nichts weiter, sondern flippe zur nächsten Folie.
Wir kürzen den zweiten und dritten Sprint zu 8 Tagen – heißt wir gewinnen 4 Tage. So können wir Wünsche implementieren, die bis einschließlich zum 12.12. bei uns eingehen berücksichtigen. Aber auch das wird nicht ausreichend sein. Im letzten Jahr hatten wir drei wichtige Wünsche, die uns am 20.12. erreichten und wir konnten sie auch noch rechtzeitig ausliefern. Diese Flexibilität brauchen wir auch dieses Jahr. Daher können wir die letzte Etappe nicht als Sprint organisieren, da der Sprint gesichert ist und neue Wünsche nicht aufgenommen werden können. Wieder hebt die Oberhexe an, mich zu unterbrechen. Aber sie lässt es sein und gehe zur nächsten Folie.
Wir organisieren die letzte Etappe als Kanban. „Kanban? Was ist denn das?“, die Oberhexe sieht mich zweifelnd an. „Ist das denn agil? Wir müssen es schließlich dem Weihnachtsmann verkaufen.“
„Ich habe im Internet recherchiert. Es gibt da viele agile Prinzipien und Kanban ist eines davon. Es heißt, dass man die Aufgaben – also die Wünsche – nach der Reihenfolge abarbeitet, wie sie hereinkommen. Sie werden gemäß ihrer Priorität geordnet und nach und nach bearbeitet.“
„Hmm, so weit so gut.“ Die Oberhexe ist noch nicht überzeugt. Auf den ersten Blick scheint es sich nicht von unserem Sprint-Ansatz zu unterscheiden. Die Wünsche werden in einzelne Aufgaben heruntergebrochen und dann implementiert und getestet. Sind alle Aufgaben erfüllt, kann der Wunsch durch den Gift-Owner akzeptiert werden.
Ich versuche der Oberhexe den Unterschied zu erklären. Kanban hat keine Timeboxen oder Sprints – wie unser Weihnachtsmann-Ansatz. Nur der gerade in Bearbeitung befindliche Wunsch ist gesichert und nur der nächste Wunsch wird abgeschätzt. Kommt ein Wunsch herein wird seine Priorität abgeschätzt und in die Liste einsortiert. Es gibt aber immer die Gesamtliste und da nur der in Bearbeitung befindliche Wunsch gesichert ist, kann auch ein neu hinzugekommener Wunsch als nächstes bearbeitet werden, wenn er über die entsprechende Priorität verfügt.
Auf der nächsten Folie habe ich ein entsprechendes Beispiel. Die Oberhexe lächelt – tatsächlich sie lächelt. „Ich denke, so können wir es machen. Du wirst heute Nachmittag den Ansatz dem Team vorstellen. Aber ich denke, auch sie werden damit einverstanden sein. Ich stelle es dem Weihnachtsmann vor.“
Ich hatte also die Oberhexe überzeugt 🙂 .
19:05
Am Nachmittag hatte ich meinen Ansatz dem Team vorgestellt. Alle nickten. Auch sie konnte ich überzeugen. Schließlich kannten sie die Problematiken so kurz vor Weihnachten. Wir werden also morgen unseren verkürzten Sprint starten.
Dienstag, 25. November – noch 29 Tage bis Weihnachten
12:00
Unser verkürzter Sprint hat begonnen. Allen ist bewusst, dass wir weniger Zeit haben und klotzen wirklich ran. Ich habe heute Vormittag die aktuellen Wünsche vorgestellt. Wir haben ziemlich viel diskutiert, ob wir die Wünsche nicht schneller implementieren könnten. Verschiedene Ideen wurden geboren und wieder verworfen. Aber ich glaube, wir haben sogar einen Weg gefunden, die ursprünglichen geplanten Wünsche zu implementieren. Wir hatten Wege gefunden, schneller und effizienter zu werden. Die Oberhexe schaute – mal wieder – zufrieden drein.
Freitag, 28. November – noch 26 Tage bis Weihnachten
19:03
Nächste Woche Mittwoch wird unser Sprint schon enden. Dann starten wir mit dem Kanban-Ansatz. Hoffentlich geht alles gut. Ich mache mir wirklich Sorgen. Scheinbar sind alle genauso nervös wie ich. Es gibt immer mehr heftige Diskussionen zwischen den Konstrukteuren und den Testern. Ich glaube nicht, dass es wirklich Unstimmigkeiten gibt. Es gibt auch nicht wirklich Streit. Aber irgendwie knistert es in unserem Team – fast wie ein Vulkan, der gleich ausbrechen wird.
Wir haben drei Wünsche, die durch die Tester nicht abgenommen wurden. Diese Wünsche haben Bugs. Diesen Begriff hatte der Weihnachtsmann schon vor ein paar Jahren eingeführt. Er bezeichnet Computer-Fehler und nun benutzen wir ihn für Implementierungsfehler in den Wünschen – z.B. wenn statt eines Regenbogens nur eine dunkle Wolke erscheint.
Viel kritischer ist jedoch, dass wir viele Wünsche haben, die unmittelbar aus einer eng begrenzten Region kommen. Es kann durchaus passieren, dass sich dann die Wünsch gegenseitig beeinflussen. Daher müssen die Tester schon bereits abgeschlossene Wünsche immer wieder nachtesten. Sie nennen das Regression, weil sie zu „alten“ Wünschen zurücktreten. Das nimmt jede Menge Zeit in Anspruch – natürlich vor allem für die Tester. Aber leider auch für die Konstrukteure. Sie müssen sich immer mehr Zeit nehmen, um über alle Implikationen auf die bereits abgeschlossenen Wünsche zu bedenken.
*Seufz* hoffentlich klappt alles mit unserem Kanban-Ansatz, wie ich es mir vorgestellt habe. Wenn das so weiter geht, werden wir trotz aller Maßnahmen es nicht schaffen, dieses Jahr keine Leftovers zu haben, wie es der Weihnachtsmann am Anfang dieser Saison gefordert hat.
Dienstag, 2. Dezember – noch 22 Tage bis Weihnachten
15:00
Retrospektive! Wir schließen den Sprint ab. Die Oberhexe präsentiert uns das Burndown-Chart. Wir haben es nicht geschafft, alle geplanten Wünsche abzuschließen. Die Regression-Tests und die damit verbundenen Bugfixes verbrauchten zu viel Zeit.
Tiramo erklärt, dass wir die Regionen weiter streuen müssen. Das beeinflusst aber die Ordnung der Wünsche nach Priorität. Ich muss neu nachdenken, ich darf die Wünsche nicht nur auf Wichtigkeit prüfen, ich muss sogar die Abhängigkeit zu anderen Wünschen beachten. Das kann ich aber nicht. Ich bin schließlich kein Konstrukteur. Da brauche ich Hilfe. Na gut, vielleicht schaffen wir das ja.
Allerdings haben wir aus dem gerade abgeschlossenen Sprint zwei Wünsche übrig. Sie wurden durch die Tester nicht akzeptiert. Soll ich sie wirklich in die Leftovers schieben? Aber dann hätten wir jetzt schon Leftovers und die richtigen kniffligen Aufgaben kommen sicher noch. Ich entschließe mich, die Bugfixes dieser zwei Wünsche ganz an den Anfang unserer letzten Etappe zu legen.
16:30
Alle denken, wir machen morgen früh wieder einen Requirements-Workshop. Aber ich erkläre ihnen, dass dies nicht notwendig ist. Wir brauchen nur einen Task-Breakdown für den nächsten Wunsch. Für die Wünsche in der Queue brauchen wir nur eine grobe Abschätzung. Ich habe diese Abschätzung bereits getan. Alle blicken mich ungläubig an und danach das große Kanban-Board, das ich in unserem Büro aufgestellt habe. Sie setzen an, um zu protestieren. Aber dann stimmen sie mir zu, dass es schon hinhauen könnte 🙂 . Das Kanban-Board sieht fast so aus, wie das das ich der Oberhexe in meiner Präsentation gezeigt habe.
Mittwoch, 3. Dezember -noch 21 Tage bis Weihnachten
11:05
Die Jungs stürzen sich sofort auf die Aufgaben und weisen sie sich zu. Tiramo hat sofort den Bugfix geliefert und er wird schon durch Plix getestet. Purzelbaum hat sich an den zweiten Bugfix gemacht. Vielleicht bekommen wir doch keine Leftovers.
Heute früh habe ich ihn noch kurz die nächsten zwei Wünsche präsentiert. Sie haben meine Abschätzung bestätigt und machten gleich einen Task-Breakdown ohne viel Diskussion. Ich werde jetzt nach und nach den Backlog für unseren Kanban füllen. Obwohl der Backlog ist ja schon fast voll. Allerdings muss ich die hereinkommenden Wünschen archivieren, strukturieren, kategorisieren etc. etc. Also so wie immer.
Montag, 8. Dezember 2014 – noch 16 Tage bis Weihnachten
10:05
Wie schon lange befürchtet, kommen auch noch kurz vor Weihnachten viele Wünsche herein. Nach der ursprünglichen Planung hätten wir heute die Annahme geschlossen. Aber nach der neuen Planung kann ich auch noch Wünsche einplanen, die jetzt noch kommen. Ich sortiere die Wünsche ein und wir arbeiten daran. Wir haben immer noch viele asiatische Wünsche im Backlog, aber diese lasse ich jetzt liegen. Die Wünsche aus unseren „Kerngebieten“ haben jetzt erst einmal Vorrang. „Kerngebiet“ ist ein tolles Wort – hihi. Das habe ich von der Oberhexe übernommen. Wenn ich keine Lust mehr habe Weihnachts-Elf zu sein, werde ich vielleicht auch Oberhexe – hihi.
15:05
Die Konstrukteure streiten gerade über einen Wunsch, in dem sie ein Feuerwerk brauchen. In den Ländern gibt es verschiedene Gesetze, die Feuerwerke nur zur besonderen Anlässen zulassen – und ganz sicher nicht zu Weihnachten. Aber man braucht ja nicht laut zu knallen – sondern kann das Feuerwerk auch ohne Krach zeigen. Wir brauchen ja keine Feuerwerkskörper, um ein Feuerwerk zu starten – nur ein bisschen Magie. Schließlich sind wir Fabelwesen – *grins*.
Freitag, 12. Dezember – noch 12 Tage bis Weihachten
14:03
Der Weihnachtsmann ist mal wieder auf seiner Gruß- und Grins-Runde. Man könnte fast denken, dass er auf Wahlkampftour ist. Aber wer will sich schon als Weihnachtsmann bewerben. Da gibt es keinen anderen Kandidaten.
Er steht in der Mitte unseres Raumes und versucht uns für Weihnachten und die Erfüllung aller Wünsche zu motivieren. Als ob wir das noch benötigen würden. Aber für mich hört es sich ein bisschen wie eine Entschuldigung an.
15:34
Ich stehe mit Purzelbaum in der Kaffee-Küche. Wir diskutieren den Auftritt des Weihnachtsmannes. Wir beide finden es wirklich lustig und lachen uns halb scheckig. Maromar hört uns und diskutiert mit. Auch er hatte das Gefühl, dass sich der Weihnachtsmann versuchte, sich für seinen asiatischen Ausflug zu entschuldigen. Aber so richtig ist es ihm nicht gelungen. Wahrscheinlich gehört „Entschuldigen“ nicht auf dem Stundenplan einer Managerschulung. Wir stellen uns den Weihnachtsmann in voller Ausstattung – mit Bart und rotem Mantel, schwarze Stiefel und großer Geschenksack – in einer Manager-Schulung vor. Lauter Typen mit Krawatte und dunklen Anzügen und der Weihnachtsmann dazwischen – wir lachen laut und krümmen uns, als die Oberhexe die Küche betritt.
Wie üblich hat sie ihren oberhexenschen Gesichtsausdruck: „Wer lacht hat noch Reserven! Habt Ihr alle nichts zu tun?“ Wir sind ehrlich erschrocken und versuchen uns an ihr vorbei aus der Küche zu schieben. Aber dann fängt sie an zu lachen. Es hört sich nicht wirklich lustig an – sie ist letztlich die Oberhexe. Trotzdem merken wir, dass sie ihre Bemerkung nicht wirklich ernst gemeint hat.
Montag, der 15. Dezember – noch 9 Tage bis Weihnachten
8:05
Wie ich schon befürchtet hatte, kommen jetzt viele Wünsche herein. Teilweise sind es Wünsche, die man einfach an die Familie zurück überweisen kann. Aber manchmal sind es auch Wünsche, die wirklich wichtig sind. Ich muss mich beeilen, dass ich sie richtig in den Backlog einarbeiten kann.
Hier war zum Beispiel einer:
„Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir zu Weihnachten bei meiner Familie zu sein. Ich bin zurzeit in einem Trainingslager für talentierte Schwimmer. Dieses Trainingslager ist so weit von zu Hause weg, dass mich meine Eltern nicht besuchen können. Es ist geplant, dass wir am 22. Dezember wieder nach Hause mit der Bahn fahren. Aber ich habe Angst, dass es schief geht. Schon auf der Herfahrt hatten wir 4 Stunden Verspätung und unser Trainingslager ist weit weg von dem nächsten Bahnhof. Wenn wir hier nicht rechtzeitig wegkommen, sitzen wir fest und ich kann nicht bei meiner Familie sein. Bitte hilf mir.
Gruß Jamie“
Natürlich hatten wir keinen Einfluss auf den Bahnfahrplan. Wir können auch nicht verhindern, dass Verspätungen auftreten. Es kann auch immer sein, dass ein Bus, der die Kinder zum Bahnhof bringen soll, nicht mehr fahrbereit ist. Trotzdem denke ich, dass jeder zu Weihnachten bei seiner Familie sein soll. Wir müssen den Weg dieses Jungen beobachten und eingreifen, falls wirklich irgendwas total schief geht.
„Zu Hause zu Weihnachten“
„Ich als zwölfjähriger Junge möchte zu Weihnachten zu Hause sein, so dass ich mit meinen Eltern und Geschwistern Weihnachten feiern kann.“
Akzeptanz-Kriterien
- Junge ist am Heiligabend zu Hause
- Alle Schwierigkeiten werden überwunden
- Bei Schwierigkeiten werden Alternativen gefunden
Ich versuche den Wunsch einsortieren, aber das wir wenig vor Weihnachten machen können, muss ich ihn wohl ganz hinten einsortieren.
10:03
Es gibt wieder Streit. Solche Re-Tests gelangen auf Forderung der Tester immer wieder ganz oben auf unserer Kanban-Liste. Dadurch können wir immer weniger Wünsche implementieren. Irgendwie müssen wir einen Weg finden, diese Regression-Aufwände zu senken. Im Augenblick haben wir aber keine Idee. Die Tester haben schon Recht, dass sie auf diese Re-Tests bestehen. Es ist verzwickt, immer wenn ich denke, wir haben eine Lösung gefunden, findet irgendjemand etwas, dass eine solche Lösung nicht machbar ist. Die Katze beißt sich immer wieder in den Schwanz.
13:46
Immer wieder flammen Diskussionen auf. Wir müssen unbedingt eine Lösung finden. „Hmm, ich glaube, ich habe eine Idee.“ Alle seufzen und sehen Purzelbaum fast verzweifelt an. Es ist schon die 14 oder 15 Idee, die er heute verkündigt. „Was ist, wenn einer von uns ständig nachtestet? Wir teilen die Wünsche in bestimmte Regionen und Wunschgebiete ein. Ein Wunschgebiet sind z.B. lokal Wetterphänomene. Dann testen wir zufällig ausgewählte, bereits implementierte Wünsch aus Regionen und Wunschgebieten, die nicht zu den Regionen und Wunschgebieten gehören, die gerade getestet werden.“ „Hä?“ Es kam von uns allen, wie aus einem Munde – keiner von uns hatte es verstanden. Purzelbaum blickt uns an: „Lasst es mich an einem Beispiel erklären. Der Wunsch ‚Delight‘ kommt aus der Region „Südliches Frankreich‘ und betrifft astronomische Phänomene, richtig?“ Wir alle nicken und auch die Oberhexe stellt sich zu unserer Gruppe. „Wenn wir nun fünf Wünsche wählen, die weder Südliches Frankreich noch astronomische Phänomene betreffen, können wir diese in der gleichen Zeit testen, wie die Tests die wir für Delight brauchen.“
„Aber, aber, aber, …“, Plix ist ganz aufgeregt, „dann wissen wir ja gar nicht, ob wirklich alle Wünsche funktionieren. Sondern nur die fünf nachgetesteten.“ „Ja stimmt“, Purzelbaum lässt sich nicht beirren, „aber wir werden unterschiedliche Wünsche aus unterschiedlichen Gebieten und Regionen haben und können uns sicher sein, das wir keine Implikationen haben. Wir alle wissen, dass wir nicht alle Wünsche nachtesten können, daher müssen wir auswählen. Da wir aber vor den Tests nicht wissen, wie wir wählen können, hilft uns hier allein der Zufall.“ „Das verstehe ich schon“, sagt Maromar, „aber wir testen nicht die Region und das Gebiet, aus dem der Wunsch kommt.“ „Doch, doch,“ Purzelbaum scheint sich immer mehr für seine Idee zu begeistern, „diese Region und das Wunschgebiet testen wir ja mit dem Wunsch selbst – ich glaube, wir müssen nur die funktionalen Tests des Wunsches ein wenig ausweiten. Wir können die Regressiontests so planen, dass wir genauso lange brauchen, wie für die funktionalen Tests.“
„Aber“, oh ich wusste es – jetzt kommt das Aber von der Oberhexe, „wenn wir das so machen, brauchen wir länger für die Regressiontests als wenn wir sie alle auf einmal machen – da können wir die Gebiete und Regionen besser abschätzen.“ „Stimmt.“ Tiramo muss natürlich der Oberhexe zustimmen. „Dann können wir aber keinen Wunsch abschließen, bevor wir nicht alles Regressionstests durchgeführt haben. Das heißt, wir können auch keine Bugs fixen, bevor wir nicht alles durchgeführt haben und verlieren jede Menge Zeit und das Risiko, dass die Wünsche nicht rechtzeitig für Weihnachten fertig sind, steigt extrem.“ Oh erstaunlich Tiramo widerspricht – ob es ihm selbst bewusst ist?
„Nun gut, lasst es uns probieren.“ Die Oberhexe gibt auf, hihi. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell aufgibt. Aber letztlich hat sie keine andere Wahl.
Mittwoch, 17. Dezember – noch 7 Tage bis Weihnachten
11:35
Seit 1½ Tagen versuchen wir den Regression-Test-Ansatz von Purzelbaum. Noch kann ich nicht sagen, ob es wirklich funktioniert. Wir brauchen immer noch ziemlich lange, um die Wünsche zu implementieren und alle haben Angst, dass wir irgendwas übersehen. Aber die Tester haben schon Bugs in „alten“ Wünschen gefunden, die Tiramo gleich gefixt hat. Dadurch konnten wir schon Wünsche wieder in die Auslieferung geben, die noch auf unserer „Regression-Liste“ standen.
15:03
Die Oberhexe versucht uns weiter anzutreiben. Sie wiederholt alle 10 Minuten, dass es bis Weihnachten nur noch eine Woche ist. Das ist uns schon bewusst. Schließlich haben wir in unserem Büro eine große Anzeige, die den Count-Down herunterzählt.
Freitag, 19. Dezember – noch 5 Tage bis Weihnachten
19:05
Der Test-Ansatz von Purzelbaum scheint sich zu bewähren. Wir alle nennen es „Purzelbaum-Testing“. Vielleicht setzt sich der Begriff ja durch. Ich habe mich auch mit den Gift-Ownern der anderen Teams unterhalten, sie haben jetzt auch das Purzelbaum-Testing übernommen. Wir alle finden den Begriff sehr witzig. Nächste Woche ist Weihnachten und ich freue mich darauf, auch wenn wir noch viel zu tun haben.
Ich habe auch schon die Geschenke für meine Freunde gebastelt – na ja gehext. Hoffentlich merkt die Oberhexe nichts. Hexen ist schließlich ihre Domäne und wir Elfen sind stark beschränkt außerhalb des Büros Magie anzuwenden. Aber die Oberhexe ist so beschäftigt, dass ihre Kontrolle stark nachgelassen hat – wie jedes Jahr :).
Montag, der 22. Dezember – noch 2 Tage bis Weihnachten
10:05
Über das Wochenende ist noch ein wichtiger Wunsch hereingekommen, den wir unbedingt implementieren müssen. Ich sortiere ihn ganz oben in unseren Backlog ein. Hoffentlich schaffen wir ihn – zwei Wünsche sind noch „In Bearbeitung“. Aber die Konstrukteure haben mir versprochen, dass sie den einen Wunsch heute noch abschließen können und die Tester schließen ihre Tests sicher auch noch heute ab und können den Wunsch dann von den Konstrukteuren übernehmen.
Ansonsten haben wir bereits jetzt 207 Wünsche implementiert – davon sogar 5 asiatische Wünsche. Jetzt sind nur noch 3 übrig. Im Backlog habe ich noch 10 Wünsche – ohne die asiatischen Wünsche – aber die müssen wohl in die Leftovers. Glücklicherweise ist kein Wunsch wegen eines Bugs in die Leftovers gewandert – die Jungs haben wirklich großartige Arbeit geleistet.
13:05
Eben kam eine Einladung vom Weihnachtsmann für den 24.12. 10:00 – da will er uns sicher wieder seine tolle Weihnachtsrede – wie jedes Jahr – halten. Na ja, da kommen wir sicher nicht drum herum.
Mittwoch, der 24. Dezember, Heiligabend
10:00
Die Jungs haben es tatsächlich geschafft. Sie haben auch noch den allerletzten spät hereinkommenden Wunsch implementiert. Wir alles sind wirklich stolz. Der Weihnachtsmann hält seine übliche Weihnachtsansprache und zeigt für jedes Team die entsprechende Statistik und auch für alle Teams zusammen.
Obwohl wir dieses Jahr mehr Wünsche als im vergangenen Jahr implementiert haben, haben wir doch nicht die Effizienz erreicht wie im vergangenen Jahr. Die Effizienz ist sogar ein wenig gesunken. Wir hatten wesentlich mehr Manager als im vergangenen Jahr – bei fast der gleichen Anzahl von Elfen. Auch die Anzahl der Leftovers ist nicht gesunken – also nicht wirklich. Es ist nur ein Leftover weniger als im vergangenen Jahr. Trotzdem haben wir viel geschafft und ich glaube ohne die asiatischen Wünsche hätten wir noch mehr geschafft.
Auf jeden Fall konnten wir besser auf die spät hereinkommenden Wünsche reagieren als in den vergangenen Jahren. Wirklich wichtige Wünsche sind nicht in den Leftovers gelandet – was uns in aller schönen Regelmäßigkeit in den letzten Jahren immer wieder passiert ist. Ich denke, wir können stolz auf uns sein. Erstaunlicherweise denkt dies der Weihnachtsmann auch. Und auch die Oberhexe – wie sie nicht versäumt – uns allen zu sagen und dabei den Weihnachtsmann zu unterbrechen.
10:55
Wir alle lehnen uns zurück und denken an die folgenden freie Tage. Keiner von uns mag im Augenblick an Wünsche und Wunscherfüllung denken. Wir alle erwarten, dass der Weihnachtsmann uns nun so in die Ferien entlassen wird. Aber dann springt der Osterhase auf die Bühne und hüpft herum wie ein Flummiball. Er ist noch besser im Hüpfen als der Weihnachtsmann – das ist auch kein Wunder. Er hat eine ähnliche Präsentation wie der Weihnachtsmann: „Eastern Agile!!!“ – wieder mit drei Ausrufezeichen. Alle seufzen und verlassen den Raum.
Epilog
Natürlich gibt es keinen Weihnachtsmann und natürlich bin ich kein Elf und erfülle Wünsche. Agiles Vorgehen gibt uns aber sicher die Möglichkeit flexibel auf Kundenwünsche zu reagieren. Die Effizienz wird sicher nicht gleich beim ersten Ausprobieren steigen, aber ich bin davon überzeugt, dass die Effizienz höher sein wird, wenn man länger am Ball bleibt. Ein solches Vorgehen kann man nicht über Nacht mit einer Präsentation einführen – es ist ein langer, steiniger Weg – es sei denn, man ist der Weihnachtsmann.
Die Idee zu dieser Geschichte kam mir als ich etwas Ähnliches im Internet gelesen habe – ein Vater organisiert seine Familie zu Weihnachten agil 🙂 . Leider finde ich den entsprechenden Beitrag nicht mehr. Daher kann ich hier auch keine entsprechende Quelle angeben.
Ich wünsche allen
FRÖHLICHE WEIHNACHTEN!