„Ich sehe was, was Du nicht siehst“: Geo-Risiken in der Lieferkette managen
Die vergangenen zwei Jahre waren von beispiellosen Unterbrechungen der Lieferkette geprägt. Nicht nur die Transportwege, auch die Güterproduktion selbst ist massiv betroffen: Immer wieder neue lokale oder regionale Covid-Lockdowns bremsen die Fertigung, insbesondere in Asien. Die andauernde Chip-Knappheit erfasst immer mehr Branchen. Der Stromausfall in Texas legte im Februar erst die dortigen petrochemischen Fabriken lahm – dann weiteten sich die Effekte auf die gesamte Kunststoff-Lieferkette weltweit aus. … Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Und dann ist da noch der Klimawandel, der immer häufiger und immer heftigere Wetterkapriolen und -extreme verursacht. So zerstörten die Fluten an der Ahr Mitte Juli komplette Infrastrukturen und Werke. Die betroffenen Unternehmen kämpfen teils immer noch mit erheblich eingeschränkten Produktionskapazitäten. Das Problem: Wirbelstürme, Fluten und Brände wüten nicht mehr nur in den „klassischen“ Regionen – und das Ausmaß der Schäden nimmt zugleich immer weiter zu.
Die Frage aller Fragen für Supply Chain Manager lautet also: Wo lauern welche Risiken in der Lieferkette? Welche Werke und Zulieferer sind besonders gefährdet – heute und in Zukunft?
Detaillierte Risikobewertung – maßgeschneidert
Für die Antwort greift das Strategic Risk Management von SupplyOn auf die Risikodaten von Rückversicherern wie der Munich Re oder der Swiss Re zurück. Die geospezifischen Risiken werden dann für jedes einzelne Zulieferwerk in verschiedensten Kategorien analysiert, von Erdbeben und Vulkanausbrüchen über Hurricanes, Tornados und Hagelstürme bis hin zu Überschwemmungen und Sturmfluten.
Die Bewertungskriterien dieser Risiken können dabei für die eigene Lieferkette angepasst werden. Somit kann ein Standort auf einer zehnstufigen Risikoskala erst bei einer „9“ für Hagel oder Blitz in den roten Bereich geraten, während die Ampel bei Erdbeben oder Überschwemmungen vielleicht schon bei „3“ auf gelb umschlägt.
Doch nicht nur die Schwellenwerte für die einzelnen Risikostufen (oder „Scores“) lassen sich individualisieren. Auch der Umfang der Skala, die Anzahl an Gefahrenstufen und deren jeweilige farbliche Darstellung können für die eigenen Bedürfnisse adaptiert werden. Eine sechsstufige Skala mit vier verschiedenen Blautönen ist also genauso möglich wie eine dreifarbige Ampel bestehend aus grün, gelb und rot auf einer Zehnerskala.
Und nicht nur das: Unternehmen können Risikoinformationen aus anderen Quellen integrieren oder auch ganz eigene Risikokategorien hinzufügen. Dazu gleich mehr.
Alle Risikobewertungen werden dann zu einem Gesamtwert aggregiert – wobei es gemäß der „worst color wins“-Logik immer den schlechtesten Einzelwert anzeigt. Somit können Supply Chain Manager mit einem Blick auf die Karte sofort die kritischen Zulieferwerke identifizieren.
Spezifische Geo-Risiken, kurz- und langfristig
Neben Naturkatastrophen gibt es aber noch weitere lokationsbezogene Gefahrenquellen für die Lieferkette. Wenn Lieferanten beispielsweise ihre Produktionsstätten in Metropolregionen mit extrem hohem Staupotenzial haben, kann sich das dauerhaft negativ auf ihre Lieferpünktlichkeit (On-time Delivery, kurz OTD) auswirken. Das wiederum bringt schnell eine ausgefeilte Just-In-Time-Produktion (JIS/JIT) erheblich durcheinander.
Auch das Thema Nachhaltigkeit und Compliance kann bei der standortbezogenen Risikobewertung eine Rolle spielen. Negative Risikoeinschätzungen können dann zum Beispiel Werke in Regionen treffen, die mit Blick auf die unternehmenseigenen ESG-Richtlinien oder rechtliche Vorschriften, wie das Lieferkettengesetz in Deutschland, kritisch sind.
Und nicht zuletzt haben gerade die letzten anderthalb Jahre gezeigt, dass auch mehr oder weniger kurzfristige regionale Ereignisse enorme, langfristige Störungen der Lieferketten hervorrufen können.
Um derartige Risiken schnell erkennen zu können, lassen sich im Strategic Risk Management von SupplyOn flexibel eigene Risikokategorien definieren. Supply Chain Manager können dazu auf den Karten schnell und intuitiv Kreise oder Polygone über die betroffenen Regionen zeichnen. Sei es der Großraum Frankfurt mit hohem Dauerstau, sei es die Region Wuhan, die zu Beginn der Corona-Pandemie drei Monate komplett abgeriegelt wurde, seien es die Südstaaten der USA, die durch Wintereinbruch und Stromausfall lahm gelegt wurden, oder politische Konflikte wie aktuell an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Die direkten Auswirkungen, ob und wie stark ihre Zulieferwerke unmittelbar betroffen sind, sehen Unternehmen sofort.
Gefahren für den Materialfluss, ganz konkret
Supply Chain Manager sehen jedoch nicht nur, welche Lieferanten beziehungsweise welche Zulieferwerke gefährdet sind. Durch die Verknüpfung von Standort und dort gefertigtem Material kann die Risikobewertung bis auf Artikelebene heruntergebrochen werden. Somit können sie ganz konkret einschätzen, wie sich die erkannten Risiken im Falle des Falles auf ihre eigene Produktion auswirken würden.
Die Lösung erlaubt es umgekehrt auch, nach bestimmten Materialien zu filtern und sich die Standortrisiken der entsprechenden Zulieferwerke anzeigen zu lassen. Damit lassen sich dann die materialbezogenen Supply-Chain-Risiken auch auf globalerer Ebene gut abschätzen.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt(?)
Die Frage, die sich hieran sofort anschließt: Wie können Unternehmen die so erkannten Lieferrisiken nun minimieren? Ein Lieferant kann seine Produktionsstätte schließlich nicht so einfach von heute auf morgen an einen anderen Ort umziehen. Und eine langjährige, enge und vertrauensvolle Lieferantenbeziehung wegen der erkannten Risiken zu kündigen, ist ebenfalls meist wenig ratsam.
Absicherungsmaßnahmen vereinbaren
Unternehmen können jedoch mit ihren Lieferanten bestimmte Absicherungsmaßnahmen vereinbaren, etwa die Errichtung von Schutzwällen und Fluttoren bei Überschwemmungsrisiken. Eine weitere Möglichkeit: Frühzeitig Business-Continuity-Maßnahmen (BCM), beispielsweise die Auslagerung von Produktionskapazitäten auf andere Werke, miteinander zu definieren, um eine Störung der Lieferkette zu vermeiden.
Einfluss auf Lieferantenauswahl und -bewertung
Wenn jedoch neue Aufträge vergeben werden, sind die Risikoinformationen ungeheuer wertvoll für die Lieferantenauswahl und -bewertung. Unterscheiden sich die Angebote mehrerer Lieferanten in Punkto Preis und Qualität kaum, kann die Risikobewertung das Zünglein an der Waage sein. Vor allem aber können Unternehmen schon vor der Vertragsunterschrift sehen, welche möglichen Risiken für ihre eigene Produktion bei ihrer Entscheidung lauern.
Die gleichen Informationen lassen sich übrigens natürlich auch umgekehrt bei den eigenen Standortentscheidungen berücksichtigen.
Fit for Future
Die aktuellen Lieferkettenschwierigkeiten werden wohl noch eine Weile bestehen bleiben. Geostrategische Risiken werden jedoch – bedingt durch den Klimawandel – immer weiter zunehmen. Sie werden allen Prognosen nach häufiger vorkommen, heftiger wirken und immer mehr Regionen treffen. Umso wichtiger ist es, die Gefahren für die eigene Lieferkette zu kennen.
Genau hierbei unterstützt das SupplyOn Strategic Risk Management. Bei plötzlich auftretenden lokalen oder regionalen Ereignissen erleichtert die Lösung das Incident und In-Crisis Risk Management, da die möglichen Auswirkungen auf den Materialfluss sofort ersichtlich sind. In der mittel- bis langfristigen Risikostrategie können Unternehmen anhand der vorhandenen Risiko-Informationen die Gefahren für ihre Lieferkette nun noch besser minimieren.
All das hilft, die Lieferkette resilienter zu gestalten und für die (geo- und klimabezogenen) Herausforderungen der Zukunft besser gewappnet zu sein.