Blick in die Zukunft: Predictive Analytics im Supply Chain Management
Predictive Analytics befasst sich als Teildisziplin von Business Analytics mit der Vorhersage von relevanten Ereignissen in der Zukunft. Diese Disziplin hat, ohne explizit so genannt worden zu sein, in der Steuerung von Supply Chains bereits vor längerer Zeit Einzug gehalten.
Der VMI-Prozess ist ein gutes Beispiel hierfür: Bei der Nachschubregelung per VMI gibt der Kunde seinen Lieferanten Bestandsgrenzen vor, die im Rahmen der Belieferungsplanung nicht über- oder unterschritten werden dürfen. Der Kunde stellt als Ausgangsinformationen für die Planung auf Lieferantenseite den aktuellen Bestand und die zu erwartenden Bruttobedarfsmengen über einen definierten Zeitraum zur Verfügung. Der Lieferant führt daraufhin seine Produktions- und Transportplanung durch und kommuniziert die geplanten Lieferungen zurück an den Kunden. Wenn dieser über einen VMI-Monitor verfügt, kann in diesem die Bedarfsvorschau des Kunden unter Berücksichtigung des aktuellen Lagerbestands mit den geplanten Lieferungen des Lieferanten überlagert werden. Hierbei können auch bereits auf dem Weg befindliche In-Transit-Bestände einbezogen werden.
Ergebnis ist der auf dieser Basis zu erwartende zukünftige Bestandsverlauf über der Zeit. Wenn sich zu irgendeinem Zeitpunkt Verletzungen der festgelegten Bestandsgrenzen ergeben, sendet der Monitor an alle Prozessbeteiligten Warnmeldungen aus, damit diese sich der Problemlösung widmen können (siehe Abbildung).
Mit Predictive Analytics frühzeitig Probleme erkennen und gegensteuern
Die Software errechnet also auf Basis der zu erwartenden Kundenbedarfe und der Kapazitätssituation des Lieferanten die zukünftige Bestandsentwicklung und macht beide Seiten, falls erforderlich, auf kritische Situationen aufmerksam, die in der Zukunft liegen. Im Idealfall befindet sich dieser Zeitpunkt so weit in der Zukunft, dass man das erkannte Problem noch mit planerischen Mitteln ohne kostspielige Sondermaßnahmen, Verzögerungen oder gar Produktionsausfall beseitigen kann.
Wenn das Problem etwa auftritt, weil der Lieferant in einem bestimmten Zeitfenster aufgrund von einer hohen Zahl an Kundenaufträgen keine ausreichende Produktionskapazität mehr zur Verfügung hat, kann der Kunde überlegen, ob er einen Teil seines Bedarfs früher anfordert und eine temporäre Verletzung der Bestandsobergrenze akzeptieren kann, um das Problem zu lindern oder gar zu beseitigen.
Dieses Beispiel zeigt, worauf es bei ‚Predictive Analytics‘ letztendlich ankommt: Man möchte kritische Probleme so rechtzeitig erkennen, dass man sich noch mit deren Beseitigung beschäftigen und erhöhte Kosten oder sonstige Schäden vom eigenen Unternehmen fern halten kann.
Herausforderung: Predictive Analytics in global vernetzten Supply Chains
In zunehmend vernetzten und globaler werdenden Supply Chain Netzwerken ist dieses Ziel besonders schwer zu erreichen. Denn Kunden und Lieferanten müssen bei der Synchronisierung und Harmonisierung von Bedarfen und Kapazitäten eine eigenständig hohe Komplexität meistern. Zugleich sind die beteiligten Unternehmen und Einfluss-nehmenden Parameter zu zahlreich, um eine übergreifende Gesamtoptimierung durchzuführen.
Es kommt hinzu, dass alle beteiligten Unternehmen eigenständige, voneinander entkoppelte Planungs- und Datenspeicherungssysteme haben und es individuelle unternehmerische Zielsetzungen gibt, die übergreifende Prozesse und durchgängige Offenlegung relevanter Daten schlichtweg nicht erlauben. Realistisch betrachtet werden die immer wieder in einschlägigen Fachkreisen und -medien kolportierten Multi-Tier-Szenarien und -Systeme in diesem Kontext wohl noch eine ganze Weile Zukunftsmusik bleiben.
Der einzige gangbare Weg, Predictive Analytics in Supply Chain Netzwerken im oben beschriebenen Sinne durchgängig zu ermöglichen, scheint daher zu sein, zwischen den einzelnen Stufen /Tiers in einem Netzwerk Plattformen oder Business-Netzwerke zu etablieren, die das Sammeln und Auswerten von Supply Chain-Daten für eine große Zahl von Unternehmen zentral übernehmen (siehe folgendes Bild). Diesen Weg hat Airbus mit AirSupply bereits beschritten.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren dieses Ansatzes ist die durchgängige Digitalisierung des Datenflusses mit direkter Verarbeitung aller Daten, die einen systemgestützten Soll-Ist-Abgleich ohne manuelle Aufwände und – in Kombination mit einem konfigurierbaren Alerting – störungsfreie Warenströme entlang des gesamten Netzwerks ermöglichen.
Diejenigen Unternehmen, die sich um die Digitalisierung dieses Prozesses früher kümmern und sich damit einen entsprechenden Zeitvorteil sichern, werden diesen Vorsprung mit einiger Sicherheit in einen Wettbewerbsvorteil ummünzen können.