Interview: „Vernetzung der Lieferkette nimmt Fahrt auf“
Christian, du engagierst dich seit geraumer Zeit in zahlreichen Arbeitskreisen zum Thema „Vernetzung der Industrie“. Welche Themen werden aktuell diskutiert und welche Trends zeichnen sich ab, auf die sich Lieferanten der Automobilindustrie einstellen müssen?
Im Wesentlichen treiben die Industrie im Moment vor allem die folgenden vier Themen um:
- Erhöhung der Produktqualität
- Mehr Transparenz hinsichtlich Kapazität der Lieferanten – sowohl im lang- als auch im mittel- und kurzfristigen Bereich
- Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit der verbauten Teile und Komponenten
- Erhöhung der Nachhaltigkeit auf allen Ebenen
Als Mega-Trend ist festzustellen, dass in allen diesen Prozessen das Volumen, die Aktualität und die Granularität der Daten eine immer gewichtigere Rolle spielt.
Die beiden erst genannten Themen – also verbesserte Qualität und mehr Transparenz bei Kapazitäten – sind doch nicht neu. Das fordern die Hersteller doch schon seit vielen Jahren. Warum stehen diese beiden Themen aktuell so sehr im Fokus – und was hat sich zu früher verändert?
Das stimmt, beides sind gelebte Prozesse, für die sich schon seit geraumer Zeit ein intensiver Datenaustausch etabliert hat. Dieser bekommt jedoch gerade eine ganz neue Qualität. Zum einen, weil heute vom Hersteller nicht nur mehr, sondern auch detailliertere Daten eingefordert werden; zum anderen, weil der Austausch der Daten über mehrere Lieferstufen hinweg ausgedehnt wird. Neu ist auch, dass die Daten zunehmend elektronisch geliefert werden müssen.
Bisher werden Qualitätsdaten überwiegend per Papier ausgetauscht – oder verbleiben, solange es keine Qualitätsprobleme gibt, beim Lieferanten. Nun sollen die Daten auf elektronischem Wege übertragen und im besten Fall direkt aus dem Produktionsprozess heraus abgeleitet werden.
Bei den Kapazitätsdaten geht es heute sehr stark um die frühe Erkennung und Vermeidung potenzieller Engpasssituationen – jeder kennt ja die aktuelle Diskussion über Lieferkettenprobleme. Hier fordern die Hersteller Einblicke über einen viel längeren Zeithorizont als früher, in vielen Fällen müssen Zeiträume von bis zu 36 Monaten abgedeckt werden. Außerdem wird, und das vor allem im Kurzfristbereich, eine viel höhere Frequenz gefordert. Updates im Tagesrhythmus sind heute keine Seltenheit mehr. Auch hier zeichnet sich der Trend ab, dass die Daten automatisch über eine Schnittstelle geliefert werden müssen. Anders wäre das gar nicht zu bewerkstelligen. Für die Lieferanten bedeutet das, dass sie diese Schnittstelle bedienen können müssen und dass ihre internen Systeme wie zum Beispiel die eingesetzte Planungssoftware an diese Schnittstelle angedockt werden können.
Auch das Thema Rückverfolgbarkeit ist ja nicht wirklich neu. Was hat sich hier zu früher verändert?
Dank verschiedener Industrie-4.0-Initiativen wie beispielsweise GAIA-X ist es heute leichter möglich, durchgängige Daten einer serialisierten Produktion bereitzustellen. Das war früher in dieser Granularität zwar möglich, aber extrem aufwendig. Die Hersteller fordern diese Daten natürlich mehr und mehr ein, um bei einem Rückruf nicht nur schnell, sondern vor allem so zielgerichtet wie möglich agieren zu können – und somit größere finanzielle Schäden zu vermeiden.
Die zielgerichtete Rückverfolgbarkeit ist zudem essenziell, um die betroffenen Komponenten und Fahrzeuge eindeutig identifizieren und eingrenzen zu können. So lässt sich sicherstellen, dass nur tatsächlich betroffene Fahrzeuge zurückgerufen werden. Die Kosten von Rückrufaktionen gehen schnell in die Millionen. Mit jedem Fahrzeug, das nicht unnötigerweise in die Werkstatt muss, lässt sich der finanzielle Schaden eingrenzen. Noch wichtiger ist es jedoch, mögliche Schäden für Leib und Leben zu verhindern.
Als viertes Thema hast du das Stichwort Nachhaltigkeit genannt, auf neudeutsch: Sustainability. Das ist ja wirklich in aller Munde. Aber was siehst du da konkret auf die Lieferanten zukommen?
Eben wurde von der EU eine Vorschrift erlassen, die ab 2024 für alle Unternehmen mit einem Umsatz größer 40 Mio. Euro ein Corporate Sustainability Reporting fordert, und zwar rückwirkend für das Jahr 2023. Das bedeutet, dass sich die Unternehmen jetzt schon darauf einstellen und die notwendigen Vorbereitungen treffen sollten. Vier Jahre später, also ab 2028, ist dieses Reporting dann für alle Unternehmen innerhalb der EU verpflichtend, also auch für die kleineren Unternehmen.
Die Ernsthaftigkeit, mit der die EU dieses Thema vorantreibt, ist nicht zu unterschätzen. Das Corporate Sustainability Reporting hat einen vergleichbaren Stellenwert wie die Steuererklärung – sprich: die darin enthaltenen Daten müssen von einer unabhängigen Instanz verifiziert, zertifiziert und freigegeben werden. Es handelt es sich dabei um Daten, die zum Teil heute schon über SupplyOn ausgetauscht werden und somit bereits strukturiert vorliegen. Dieses Angebot werden wir weiter ausbauen. Insgesamt beschäftigen wir uns schon länger damit, wie wir unsere Kunden bei der Bereitstellung von notwendigen Daten für Umweltschutz und Nachhaltigkeit unterstützen können und erweitern unsere Services entsprechend bzw. bieten neue Dienste an.
Du hast vorhin Schnittstellen erwähnt, über die diese Daten zukünftig fließen müssen, weil die Flut an Daten sonst nicht zu beherrschen ist. Was müssen Lieferanten hier tun? Gibt es pragmatische Ansätze, die sich mit geringem Aufwand per Plug-and-Play umsetzen lassen? Besonders für kleinere Lieferanten sind diese Herausforderungen sonst doch wohl kaum zu stemmen.
Ja, Connectivity spielt bei all diesen Themen eine große Rolle. Wie wichtig Connectivity ist, zeigt auch eine aktuelle Studie von IDC zur Vernetzung der deutschen Industrie, die zeigt, dass sich nur 23% der Wirtschaft auf einem „hohen“ Niveau der Vernetzung befinden und daher zum Schluss kommt, dass deutsche Firmen hier einen großen Nachholbedarf haben.
Aber hier kommt die gute Nachricht: Ja, es gibt Konnektoren, mit denen sich Lieferanten einfach und kostengünstig an ihre Geschäftspartner andocken können. SupplyOn hat eine Lösung entwickelt, die Unternehmen jeglicher Größe auf dem komplexen Feld der Integration optimal unterstützt. Sie ermöglicht es, in kurzer Zeit interne ERP-, MES-, Qualitäts- oder andere Systeme an die Plattform SupplyOn anzuschließen. Da über SupplyOn bereits viele wichtigen Industrieunternehmen weltweit elektronisch vernetzt sind, bedeutet das, dass die Notwendigkeit einer individuellen Anbindung dort entfällt.
Was würdest du einem Unternehmen empfehlen, das für die Zukunft gut aufgestellt sein will?
Keine leichte Frage, da es immer vom Reifegrad eines Unternehmens abhängt, welche nächsten Schritte den größten Nutzen bringen. Es ist sicher hilfreich, zu Beginn eine schonungslose Analyse der eigenen digitalen Fähigkeiten vorzunehmen und dann einen Abgleich zu machen, welche Anforderungen seitens Kunden und Lieferanten gestellt werden. Im nächsten Schritt sollte man schauen, wo man „quick wins“ – also schnelle Erfolge – erzielen kann. Damit motiviert man die eigene Mannschaft, weiter zu machen, oder überzeugt ein skeptisches Management.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Christian.